HANKOOK 24H DUBAI 2015 – 8.-10.1.2015
Dienstag , 06.01.2015, 14Uhr Ortszeit Dubai, 24 °C, Sonne
Für die meisten zu Hause ein Feiertag, für uns ein ganz besonderer Tag, denn nach 2 Jahren konsequenter und intensiver Vorbereitungen, stehen wir da, wo wir immer hin wollten: Am Eingang zum Fahrerlager des Dubai Autodroms. Vor uns ein Banner mit der Aufschrift „Welcome to the Hankook 24h Dubai“.
Doch der straffe Zeitplan duldet nur wenig Emotionen. Pressekonferenz, Sitzproben, Autoabstimmung, Ausrüstungsabnahme, Trainings etc. stehen dicht gedrängt hintereinander.
Binnen kurzer Zeit muss das Team zusammengeführt werden, denn Matt Speakman aus Australien stößt neu dazu, der Rest kennt sich aus Zandvoort 2014. Aufgaben werden verteilt, zeitliche Abläufe konfiguriert.
Man spürt schnell dass jeder Einzelne über eine große Motorsporterfahrung verfügt, da die Zusammenarbeit unter Fahrern, Boxenteam von Sorg Rennsport und allen Beteiligten strukturiert und zielorientiert von statten geht. Am späten Nachmittag steht das Auto startklar für den ersten Praxistest in der Box.
Auf geht’s „zu Fuß“ zur Streckenbesichtigung des 5,39km langen Rundkurses. Man geht gemeinsam und doch hat jeder für sich seine eigene Art sich darauf ein zu lassen. Es hängt ein ganz besonderes Flair über der Strecke, denn die Weitläufigkeit des Kurses, die Abendsonne mit der Skyline im Hintergrund, sowie die Einzigartigkeit des Unterfangens formen hier, nach der materiellen Optimierung in der Box, nun auch die emotionale Verbundenheit der Fahrer.
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Tag 2: Mittwoch 07.1.2015
Es ist Zeit die Strecke per Auto beim „rent-a-car-ride“ kennen zu lernen. Da wir leider kein für uns umgebautes Straßenauto zur Verfügung haben, müssen wir auf einen Fremdfahrer zurückgreifen. Das bedeutet für uns zwar einen kleinen Nachteil, da wir selbst noch nicht soviel Gefühl für den Asphalt von Dubai entwickeln können, lässt aber Zeit für Späßchen und Fachsimpeleien, die der Stimmung im Team die nötige Lockerheit verschaffen. 13 Uhr, erster Praxistest in unserem BMW. Matt Speakman fährt als erster aus der Box, da er noch nie in unserem Auto saß. Nach ein paar Runden wird klar, dass es für ihn eine große Umstellung sein wird, da die Bedienung seines Rennautos daheim anders als die hier verbaute Technik ist. Aber er bleibt ruhig und findet in Zusammenarbeit mit den Jungs aus der Box Anschluss an das Leistungsniveau der anderen. Runde um Runde werden die Zeiten besser und es wird deutlich, dass wir mit ihm ein zuverlässiges und mental starkes 4. Teammitglied gefunden haben. 2. Fahrer im „optional private test“ ist Marc Dilger, der schon in Zandvoort 2014 mit am Start war und somit mit dem Auto sehr vertraut ist. Er fühlt sich auf der Strecke gleich zu Hause, hat aber deutliche Schwierigkeiten mit der Stabilität und Positionierung im Autositz. Da es aber bekanntlich für jedes Problem eine Lösung gibt, wird in einer Abendsession in der Box, eine spezielle Sitzadaption für ihn hergestellt, mit der auch er in der Lage sein sollte eine optimale Performance abzuliefern.
Als Tagesabschluss hat sich der Veranstalter etwas Besonderes einfallen lassen, wir sind geladen zum „Welcome-BBQ“ unterm Sternenhimmel von Dubai. Bei lauen 20°C und Livemusik ist hier Raum für Entspannung und ein paar private Gespräche mit Teammitgliedern, Gönnern und allen Anderen, die sich für unsere ganz spezielle Mission begeistern.
Tag 3: Donnerstag 08.01.2015
Auf dem Programm stehen Freies Training 1 und 2, Qualifying und Nachttraining.
Nach den Erfahrungen des Vortages haben wir beschlossen, dass Matt noch soviel Zeit wie möglich im Auto braucht um Routine zu bekommen, Marc noch mal seine Sitzposition testen muss und somit Mike und Gustav nur kurz Zeit haben Gefühl für das Auto zu bekommen. Schon stehen die Zeiger der Uhr auf 15 Uhr und es wird ernst im Qualifying. Aber die anfänglichen Schwierigkeiten sind gelöst und wir stehen mit einer tollen schnellsten Runde von 2:20,006 auf Startplatz 4 in unserer Klasse und auf Platz 64 im Gesamtklassement von 95 Startern.
Wir haben keine Zeit uns auf unserer Leistung auszuruhen, denn es geht direkt weiter ins Nachttraining., bei dem jeder 4 Runden absolvieren muss. Da keiner von uns jemals ein Nachtrennen bestritten hat, können wir hier nicht auf Rennerfahrungen zurückgreifen, wohl aber auf eine andere Wahrnehmungsfähigkeit, die wir alle aufgrund unserer Lebenssituation im Rollstuhl über die Jahre perfektioniert haben: die Fähigkeit der Antizipation, d.h. extrem schnell neue Gegebenheiten wahrnehmen und ihre Folgen für unsere Fortbewegung einschätzen. So ist das Fahren bei Nacht und die veränderten Lichtreflexe kein Problem und wir stellen das Auto sicher für die letzten Startvorbereitungen in der Box ab.
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Tag 4 und 5: Start of the Hankook 24h Dubai
10.30 Uhr Warming up, die Rennroutine hält Einzug bei jedem von uns. Jeder begibt sich in seine eigenen, stillen Abläufe. Material wird ein letztes Mal gecheckt, die Strecke im Kopf verinnerlicht. Wir fühlen uns gut vorbereitet, wenn auch ein paar Fragen im Raum stehen, die nur der Rennverlauf selbst beantworten kann. Wird das Auto halten? Wird uns die doch recht hohe Temperatur im Auto ein körperliches Problem machen? Sind wir mit unseren etwas länger dauernden Fahrerwechseln auf Dauer wirklich konkurrenzfähig? Hat jeder die körperliche Fitness ein solches Unterfangen mit Schlafentzug durchzustehen? Werden wir von eventuellen Crashs verschont bleiben?
Ein bisschen gesunde Nervosität macht sich breit, die aber, als es um 12.45 Uhr mit Mike als Startfahrer in die Startaufstellung geht, so schnell verfliegt, wie sie gekommen ist. Wie genießen den Rummel auf der Start-Zielgeraden, ein Meer von Rennautos und vielen Menschen, die uns mit einem begeisterten Gefühl ins Rennen schicken. Man spürt ganz deutlich die familiäre Verbundenheit aller 95 Teams, der einzig und allein der Wunsch zugrunde liegt, unbeschadet das Ziel zu erreichen. Gewinnen scheint nebensächlich in diesem Moment. Schnell holt uns die Wirklichkeit ein, der BMW hat ein Problem und startet nicht, Hektik kommt auf. Zwei Jungs vom BMW Motorsport sind sofort mit Rat und Tat zur Stelle und können das Problem zusammen mit unseren perfekt arbeitenden Mechanikern beheben. Dann geht alles ganz schnell, Startaufstellung geräumt, 2 Einführungsrunden, grüne Ampel, Vollgas, das Rennen läuft. Mike hat den Start souverän absolviert, jetzt gilt es Runde um Runde runter zu kämpfen. Schnell ist klar, ankommen alleine reicht nicht, unser Ehrgeiz und Perfektionismus verlangen mehr. Es muss soweit wie möglich nach vorne gehen. Die ersten 20 Minuten vergehen wie geplant, dann ein Code 60, da es auf der Strecke einen ersten Unfall gegeben hat. Es ist ein ständiges Schwanken zwischen Euphorie, da es bei uns super läuft, und der Ernüchterung , da man bei jedem Unfall auf der Strecke daran erinnert wird, wie schnell der Traum zu Ende sein kann. Die ersten Boxenstopps mit Fahrerwechsel laufen routiniert und sicher. Vorbereiten, konzentrieren, im eigenen Stint Alles geben, Erfahrungen von der Strecke direkt weitergeben, kurzes Erholen, Energiespeicher auffüllen, Massage um die Rekonvaleszenz zu beschleunigen, versuchen ein bisschen Schlaf zu bekommen, wach werden und alles wieder von vorne. Bei jedem ein ständig wiederkehrender Ablauf, aber notwendig, um den körperlichen Belastungen Stand zu halten. In den ersten paar Stints haben wir keine Wasserversorgung im Auto und müssen mit Macht erkennen, dass die Hitze im Auto den Körper so auszehrt, dass wir es so nie ins Ziel bringen würden. Also Trinksysteme einbauen und alles läuft rund.
Zum Schlafen steht uns ein Überseecontainer mit 8 Feldbetten für 12 Fahrer zur Verfügung in dem es am Tag sehr heiß und bei Nacht mit 14 °C recht kühl ist, aber der Wille die Mission ins Ziel zu bringen ist so groß, dass auch das uns nicht einschränkt.
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Dann ein kurzer Schreckmoment, ein überholender SLS touchiert Matt, schlägt in unser Schwesterauto ein und zwingt es zu einem 50 minütigen Boxenstopp. Bei unserem BMW ist alles in Ordnung, das Ereignis lässt uns aber daraufhin in den Nachtstints noch aufmerksamer sein.
Die ersten 12 Stunden sind um, es geht immer wieder in der Platzierung nach oben, aber auch immer mal wieder etwas nach unten. Erschöpfung und Müdigkeit halten Einzug, werden aber sofort durch unser Boxenteam verscheucht. Es ist beeindruckend mit wie viel Herzblut unser professionelles Team nach jahrelanger Erfahrung noch zu Werke geht und dieses Event zu einem für uns unvergesslichen Erlebnis macht. Selbst die Damen von der „Küchenabteilung“ werden auch nachts um 2 Uhr nicht müde, uns mit Leckereien wieder aufzupeppen und uns mit ihrer Freude bei der Arbeit anzustecken, um die Nacht für uns zum Tag werden zu lassen.
Alle 4 Mission-Fahrer sind wahnsinnig fokussiert und liefern eine tolle Performance ab. Egal ob Matt, der mit Akribie ständig seine eigenen Bestzeiten unterbietet, ob Marc, der sich auch im „normalen Leben“ nachts erst richtig wohlfühlt und mit beeindruckender Souveränität in den Nachtstints sich einen Platz nach dem anderen nach vorne arbeitet. Mike, der eigentlich Holländer ist, aber mit der Präzision eines schweizer Uhrwerkes fährt und alle brenzlichen Situationen vorher zu riechen scheint, um sie dann sicher zu umgehen und Gustav dessen unbändiger Ehrgeiz ihm dazu verhilft, sich am direkten Gegner zu verbeißen bis sich eine Lücke auf tut, um ihn dann zu bezwingen. Jeder einzelne kann seine Stärken voll ausspielen, um zu beweisen, dass das Fahren im Automatikmodus (welches normalerweise einen Nachteil darstellt, aber aufgrund der körperlichen Einschränkungen unumgänglich ist) nicht gleichbedeutend mit einer geringeren Konkurrenzfähigkeit ist.
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Die Sonne geht auf über Dubai und schickt allen wichtige Energie, die Nacht ist überstanden und wir sind dem Ziel einen großen Schritt näher.
Viele Teams mussten mittlerweile Rückschläge in Kauf nehmen, viel Autos standen längere Zeit in der Box, doch Fortuna scheint ein Auge auf uns geworfen zu haben und hält bisher alle größeren Gefahren von uns fern. Oder liegt unser Erfolgsrezept auch einfach in der uns angestammten Routine potenzielle Hindernisse frühzeitig zu erkennen und zu umgehen?
Es ist später Vormittag, die Sonne steht über dem Autodrom, noch 5 Stunden bis zum Zieleinlauf. Wir setzen uns zusammen und machen eine Strategie für die letzten Stints. Wer hat noch wieviel „Körner“ zur Verfügung? Zum Glück konnten wir uns im Ranking nach hinten einigermaßen absichern, so dass nun die Frage im Raum steht, ob wir mit einem Angriff nach vorne noch was reißen könnten. Wenn wir eine Attacke reiten würden, stiege auch die Gefahr das Auto irgendwo zu verlieren und die Mission ins Land der Träume zu befördern. Andererseits ist Kompromisse eingehen einfach nicht unser Ding, sonst wären wir nicht da, wo wir heute sind. So entscheiden wir uns schweren Herzens für die Vernunft und erklären die Attacke zum Schlachtruf der kommenden Rennen in 2015. Die letzten Stunden vergehen im Wanken zwischen Erschöpfung (auch unter den Mechanikern, die aber mit ihrer Routine in der Lage sind, mögliche Müdigkeitsfehler durch gegenseitiges pushen und kontrollieren, zu verhindern) und Hoffnung, dass unser Traum Wirklichkeit werden wird.
Der letzte Stint! Der BMW scheint auch noch ein Wörtchen mitzureden und holt uns ganz schnell mit einer alarmierenden Öldruckanzeige auf den Boden der Tatsachen zurück. Kann es sein dass unser aller Streben, unser Kämpfen gegen Vorurteile, gegen die Gesetzmäßigkeiten der Medizin und der Gesellschaft von unserem Auto zum Scheitern verurteilt werden? NEIN, er will uns nur noch einmal bewusst machen, was wir gerade im Begriff sind zu leisten, welchen Coup wir gerade dabei sind zu landen.
Alle Mechaniker stehen an der Mauer vor der Box, die letzte Runde, die letzte Zielgerade. Es ist vollbracht, Gustav steuert unseren treuen Weggefährten über die Ziellinie. Im Team brandet Jubel auf, Mann und Frau liegen sich in den Armen. Alle Fragen sind beantwortet und spontan scheint nur das Zitat eines amerikanischen Politikers uns die letzte Antwort in den Mund zu legen: „YES; WE CAN!!!!!!“
Es folgt ein kleiner, bescheidener „Walk of Fame“, unser eigener, von der Strecke in die Box. Es gibt Anerkennung und Schulterklopfen der anderen Teams, die eine Aufrichtigkeit spüren lassen, von der man merkt, dass sie nur von Menschen, die wissen was es bedeutet 24 Stunden im Kreis rum zu fahren, an den Tag gelegt werden kann.
Auf`s Podium hat es nicht ganz gelangt, aber man braucht auch Ziele für die Zukunft, sonst kann man sich nicht steigern. Platz 49 im Gesamtklassement ist zwar nicht das Optimum, aber auch bei weitem keine Leistung mit der wir uns verstecken müssten. Die „Mission Possible“ ist erfüllt und wir sind erfüllt von der Dankbarkeit für die Offenheit der Rennfahrerszene, das Interesse der Medien und die Begeisterung aller Beteiligten am Rande, die zeigen, dass es einen Sinn ergibt Vorurteilen und Ressentiments mit Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft zu begegnen, vor allem in einem Land wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, in denen die Integration von Menschen mit individuellen Einschränkungen noch in den Kinderschuhen steckt.
Folge nicht einem bestehenden Weg, sondern gehe abseits und hinterlasse eine Spur! Der Anfang ist gemacht, diese Geschichte ist geschrieben, aber noch nicht zu Ende …
Cordula Oetker
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